Liebes Internet



Liebes Internet, ich kenne Dich nun schon eine ganze Weile. Ja, wir sind wirklich schon einen langen Weg gemeinsam gegangen. Anfangs war es manchmal anstrengend: Das 14.400er Modem erschien schnell. Und doch wartete ich endlose Minuten, bis sich manche Bilder geladen hatten. Zumindest, bis ich zum ersten Mal an einer 2Mbit-Leitung saß.

Ja, heute sind schnellere DSL-Leitungen der Standard. Doch damals? 1998 war es das Paradies, eine Offenbarung. Ein Blick in eine Zukunft, die nur noch nicht gleichmäßig verteilt{:target="_blank"} schien.

Damals war das Netz echt bunt, grell und irgendwie laut. (Erinnerst Du Dich noch an die schrecklichen MIDI-Dateien?) Aber es gab einige wirklich interessante Menschen. Ich erinnere mich heute noch an Diskussionen, die ich im IRC geführt habe. Ich glaube ja, dass heute keins der Facebook-Kiddies unter 25 das IRC noch kennt. Aber das ist auch egal.

Dort, also bei Facebook, habe ich derartige Diskussionen noch nie geführt. Facebook ist inzwischen auch nur noch für Bullshit. Poste ich dort etwas , von dem ich denke, dass es wichtig ist, passiert nahezu nichts. Poste ich lachende Katzen, bekomme ich 10 Likes, 30 Kommentare...

Twitter? Ach komm. Lass es einfach. Twitter ist tot - es weiß es nur noch nicht{:target="_blank"}.

RSS? Na gut - nachdem ich radikal aussortiert habe, bekomm ich da endlich wieder (größtenteils) gute Inhalte (und nicht mehr den gleichen Wein in 100-fach neuen Schläuchen). Sowas nennt man heute glaube ich "Filter-Kompetenz{:target="_blank"}".

Aber trotzdem. Liebes Internet. Was ist aus Dir geworden.

Deine verdammte Aufmerksamkeits-Ökonomie ist doch wirklich Scheiße. Jeder schreit nach Klicks, jeder versucht so viel wie möglich an ROI aus mir herauszupressen. Egal, ob es Facebook ist, (wie lange bin ich täglich auf den Seiten), oder spiegel.de (wie viele Seiten klicke ich an). Es geht nicht um mich. Was ich mir von Dir wünsche, dass interessiert Dich nicht. Auch wenn Du es immer wieder behauptest. Dir geht es schon lange nicht mehr um mich. Dir geht es nur noch darum, wie Du durch mich, meine Daten und mein Verhalten Geld erzeugen kannst.

Und was bekomme ich von Dir zurück? Via Facebook mit alten Freunden einfach in Kontakt bleiben zu können. Die wirklich wichtigen Menschen kann ich an einer Hand abzählen. Da reicht Email. Und bei manchen Menschen frage ich mich, ob ich den Kontakt wirklich haben will.

Nein, ich bekomme noch immer die gleiche, beschissen uninteressante Werbung für Ladyshave und Billigkredite aufs Auge gedrückt. Dabei interessiere ich mich aktuell viel eher für Fliesenkleber, Handwerker, Heizungssanierung, KfW-Vorschriften, Wärmedämmung und anderen Kram.

Wieso zeigst Du mir nicht wenigstens ein bisschen von dem, was mich interessiert? Wieso zeigst Du mir Rauschen und nicht Information? Wieso verschwendest Du meine Zeit?

Gib mir die Werkzeuge, die ich brauche um das zu erledigen, was ich tun muss (oder will).

Nein - Du bist zum sich selbst verstärkenden System geworden. Etwas, dass sich nur noch um sich selbst dreht. Etwas, dass in seinem Kern die immer gleichen roten Iros Menschen stehen hat, die sich ihre eigenen Echos beantworten und denken, sie würden einen Dialog mit Menschen führen.

Nein, sie führen den Dialog nur noch mit sich selbst (oder ihren Klon-Kriegern).

Weißt Du was - liebes Internet: Ich werd einfach wieder ein bisschen mehr mein (analoges) Ding machen und Dich einfach Dein (digitales) Ding machen lassen.

Mal sehen, wer glücklicher ist.