Danke: Es war nicht einfach
Heute hat mein Vater Geburtstag. Er wird 66 Jahre alt. Er hat es mir in meiner Jugend oft nicht leicht gemacht. Und genau dafür bin ich heute dankbar.
Es war nicht immer einfach
In meiner Jugend habe ich meinen Vater oft verdammt, oft verflucht. Rückblickend war ich (meistens nur auf der Tonspur im Kopf) ein echtes Arschloch-Kind.
Ich fand es einfach total unfair, dass ich nicht die neusten Klamotten hatte, nicht die coolen T-Shirt-Marken, nicht die richtigen Schuhe.
Ich trug einfach nicht die passenden Status-Symbole, weil mein Vater weder einsehen wollte, noch das Geld übrig hatte, dem eigenen Sohn alle paar Wochen dreistellige Beträge für irgendwelche neuen In-Klamotten zuzustecken.
Also gehörte ich nicht dazu. Ich war der Außenseiter, weil ich das falsche anhatte. So dachte ich in meiner frühen Jugend. Irgendwann fand ich mich damit ab. Zumindest nahm ich (etwa mit 14) die Rolle des Außenseiters an.
Ich schaffte es, meinen Vater zu einer Hose für über 300 Mark zu überreden. Eine Lederhose mit Schnürung. Gott, habe ich diese Hose geliebt.
Klar, damit war ich in der Schule dann ganz raus. Das war mir aber da schon egal. Ich hatte inzwischen andere Vorbilder. Menschen, die nicht der Masse nachliefen. Menschen, die mir zeigten, dass man selbstständig denken kann.
Menschen, die mich nie interessiert hätten, hätte ich "dazu gehört", wäre ich in der coolen Clique angesehen gewesen.
Möglichst schnell, möglichst einfach.
Heute lebe ich in einer Welt, in der es scheinbar nur noch darum geht, dass alles möglichst schnell und möglichst einfach geschieht. Einkaufen mit nur einem Klick, Lieferung am nächsten Tag.
Kinder bekommen keine Noten mehr, weil das schlecht für die Entwicklung ist und durchfallen wird abgeschafft. Die Schulzeit dauert dann auch nicht mehr länger als notwendig.
Danach kommt die Ausbildung (extrem spezifiziert) oder das Studium. Durchgetaktet mit dem Bachelor (und vielleicht dem Master).
Es gibt in diesem Terror der Effizienz keine Kanten, keine Ecken mehr im System, an denen man sich reiben kann. Zumindest keine Ecken, die eine Reibung beinahe erzwingen. So sieht es jedenfalls aus meiner Warte aus.
Auch die Eltern, die ich täglich im Nahverkehr beobachten kann, scheinen ihren Kindern lieber keine Reibungsfläche bieten zu wollen. Lieber haben sie ihren Frieden, ihre Ruhe und die kleinen Kröten nerven die anderen Fahrgäste. Sonst müsste man als Eltern ja den vielleicht schwierigen Weg des temporären Konflikts namens Erziehung gehen.
Instant-Kaffee und Instant-Befriedigung
Sofort, ohne Aufwand nen Kaffee trinken. Das zumindest verspricht der Instant-Kaffee. OK, dass gerade aktuell damit geworben wird, dass eines der Produkte nun echten Röstkaffee enthält lässt mich dann eher stutzig werden.
Vielleicht ist es auch so mit der Instant-Befriedigung, also der sofortigen, anstrengungslosen Befriedigung unserer Wünsche. Vielleicht enthält sie auch keine echte Befriedigung - oder nur in homöopathischen Menschen?
Sofortige Befriedigung unserer Wünsche, dass verspricht uns zumindest die Werbeindustrie, egal, ob sie uns den neusten Abnehm-Trick, einen neuen Joghurt oder den einfach günstigen Konsumenten-Kredit andrehen wollen.
Wer einen Wunsch hat, soll ihn sich möglichst sofort erfüllen. Warten ist uncool - deshalb wollen wir doch alle die dickste DSL-Leitung haben. Oder? Und das Fertigessen, weil kochen so lange dauert. Erzählt uns zumindest die freundliche Werbestimme in der Flimmerkiste - muss also wahr sein.
OK - vielleicht ist das doch keine nachhaltige, dauerhafte Lebensgrundlage. Doch was ist mit dem Gegenteil?
Morgen, morgen, nur nicht heute
Ich sollte auch immer alles sofort erledigen. Heute mache ich das auch, zumindest meistens. Früher gehörte ich auch gerne mal der Fraktion der Aufschieber an. Aber scheinbar gehörte ich auch damals zu einer Minderheit. Zwar ergeben die Suchbegriffe Aufschieberitis und Prokrastination bei Google 813.000, respektive 143.000 Ergebnisse, aber "sofortige Befriedigung" wirft mir 4,69 Millionen Ergebnisse vor die Füße.
Heute kann ich Dinge erledigen, die erledigt werden müssen (und merke bei Sachen die ich aufschiebe, dass ich unterschwellig ein Problem habe, wie bei Zahnarztterminen). Ich habe auch schon ein wenig gelernt, dass ich (bewusst) mal was liegen lassen kann. Feststellen, dass es für alles eine Zeit gibt und dass ab und an auch mal die Zeit da sein muss, sich zu erholen. Nichts zu tun.
There is a time for everything
a time to be born and a time to die,
a time to plant and a time to uproot,
a time to tear down and a time to build,
a time to weep and a time to laugh,
a time to mourn and a time to dance,
a time to keep and a time to throw away,
a time to tear and a time to mend,
a time to be silent and a time to speak,
a time to love and a time to hate.
OK, ich bin da noch nicht perfekt. Aber eben alles zu seiner Zeit.
Verlernt zu warten. Verlernt Zeit zu schätzen.
Ich hab mich dem Diktat der Effizienz jahrelang selbst unterworfen. Heute kämpfe ich aktiv dagegen an, lerne (scheinbar) ineffiziente Dinge zu schätzen.
Handwerkliche Kunst beispielsweise dauert lang, ist hochpreisiger, aber auch wertiger und werthaltiger.
Mal was selbst machen, was reparieren, nicht sofort Ersatz kaufen. Mal überlegen, ob ich Dinge wirklich brauche. Mal überlegen, ob Wünsche sofort befriedigt werden müssen.
Warum mein Vater mir gut getan hat
Mein Vater hat es mir in meiner Jugend, nicht so leicht gemacht. Und ich danke ihm dafür. Denn dadurch lernte ich, für mich selbst zu denken.
Es war ja auch nicht so, dass mein Vater mir die Sachen nicht gegönnt hätte. Ich glaube fest daran, dass er mir jede Levis-Jeans und jedes Replay-Shirt gekauft hätte. Wenn er das Geld gehabt hätte. Doch dem war nicht so - und das war gut so.
Danke Vati, dass ich lernen durfte, ich selbst zu sein.
Danke Vati, dass ich meinen Wert als Mensch in mir gefunden habe und nicht an mir. Nicht durch die Klamotten, die ich trage.
Danke Vati, dass ich zu einem kritischen Menschen heranwachsen konnte.
Daher gibt es zum Geburtstag eine passende, wenn auch "bösere" Version des Klassikers von 1977:
Update: Mein Fazit:
Vielleicht sollte ich noch ein paar Worte verlieren, bevor ich das hier zu einem Ende bringe. Ich glaube, viele Menschen könnten davon profitieren, wenn sich Kinder und Jugendliche an großen und kleinen Ecken und Kanten reiben dürften.
Wenn sie Widerstände erleben dürfen und sich so damit auseinandersetzen müssen, wer sie selbst sind. Lernen dürften, was sie wollen und nicht wollen. Was wirklich wichtig ist und was nur Schein. OK, dazu bedürfte es auch entsprechender Vorbilder. Wer weiß, ob es die heute noch gibt.
Ich glaube, dass es auf lange Sicht nicht gut ist, wenn man in jungen Jahren alles in den Hintern geblasen bekommt. Man wächst durch Widerstände, Gegenwind und Herausforderungen. Auch durch Konflikte. Und sei es nur darin, wie man mit Konflikten umgeht.