Dein Recht am Essen: Ein Vergleich



Still und leise findet vor dem Europäischen Gerichtshof eines der wichtigsten Verfahren zu unserem Essen statt. Doch berichtet wird darüber kaum. Dabei steht die Freiheit über unser Essen selbst zur Debatte. Ich versuche mich an einem Vergleich.

Ich muss ein wenig ausholen, um den Vergleich ziehen zu können. Ein bisschen Grundlagen sind leider notwendig, um das Thema zu verstehen.

Musik und Filme, das sind eines der Themen unserer Zeit. Wer läd sie runter, wer schädigt wen und wer profitiert vom Urheberrecht. Immer wieder kauen Medien und das Netz diese Themen durch. Ein endloser Strom der immer gleichen Argumente zweier tief verfeindeter Ideologien.

Dabei gibt es (meiner Meinung nach) zur Zeit weitaus bedeutendere Fragestellungen? Die Freiheit unser Essen selbst zu bestimmen steht zur Debatte. Klar, Ihr könnt auch morgen noch in den Supermarkt gehen und selbst bestimmen, ob ihr Tomaten oder Gurken kauft. Doch welche Sorten Euch angeboten werden, diese Freiheit versuchen die großen Saatguthersteller zu beschränken.

Heute ist es doch so: Wir gehen in den Supermarkt, kaufen Kartoffeln, Salat, Tomaten oder Gurken. Nehmen ein Schnitzel hier, eine Putenbrust dort. Vielleicht noch ein bisschen Schokolade. Denn was Süßes geht ja immer.

Was essen wir da eigentlich?

Wenn man so wie ich aufgewachsen ist, in einer eher ländlichen Umgebung, dann hat man vielleicht das Bild vom Kleinbauern im Kopf, der auf seinen Feldern Kartoffeln, Mais und Weizen anbaut. Das wird geerntet und daraus entstehen all die Leckereien in den Supermarktregalen. Einen Teil der Ernte behält er für sich, um damit im kommenden Jahr wieder auszusähen.

Dieses Bild könnte kaum weiter von der Realität entfernt sein. Zum einen kommen viele der Rohstoffe für unsere Lebensmittel nicht von unseren Kleinbauern. Ja nicht einmal aus der Region oder aus Deutschland.

Sie kommen von Großplantagen in Südamerika, Nordamerika, Afrika und anderen Ländern in Europa. Meist kommen unsere Gemüse- und Salatsorten aus irgendwelchen Gewächshausfarmen, unser Fleisch aus großen Ställen, gefüttert mit Mais und Getreide aus übersee.

Klar, ich überzeichne, aber sowohl die EU, als auch Deutschland sind Netto-Importeure für Lebens- und Futtermittel.

Sterile Pflanzen und Macht der Samenkonzerne

Diese zwingen die Landwirte dazu, jedes Jahr erneut Saatgut von den Herstellern einzukaufen. Denn sie sind nicht “samenfest”. Früher konnten die Bauern aus jeder Ernte einen Teil als Saatgut fürs kommende Jahr zurückbehalten. Man versorgte sich sozusagen selbst. Heute, mit den politisch gewollten Regelungen, versorgen wir eine Industrie der Samenproduzenten. schriftrolle.de - Benzin im Bauch{:target="_self}

Es gibt im Grunde zwei Wege für einen Saatguthersteller eine Neuaussaat zu verhindern. Vertragliche Regelungen und Veränderung der Pflanzen.

Die sogenannten F1-Hybriden sind Züchtungen aus zwei unterschiedlichen Elternpflanzen. Würde man die Samen der Tochtergeneration wieder aussähen würden die unterschiedlichen Merkmale der Elterngenerationen und die Tochtergeneration wieder durchkommen. Ganz klassische Vererbungslehre nach Mendel.

Im zweiten Jahr hätte der Landwirt also 3 unterschiedliche Sorten. Davon wäre eine (meist) wieder die F1-Variante, aber viel wäre eben auch Ausprägungen der Eltern. Der Handel (und in Folge wir Verbraucher) lieben die Norm. Es ließe sich also nur ein Teil verkaufen. Daher lohnt es sich ökonomisch für den Produzenten, neues Saatgut einzukaufen. Abgesehen davon, dass in vielen Fällen das Zurückbehalten von Samen und ein erneutes Aussähen außerdem vertraglich verboten sind.

Im schlimmsten Fall (Mais, Soja, Kartoffeln, Bohnen, etc) ist es sogar so, dass die Pflanzen gentechnisch so verändert wurden, dass deren Samen überhaupt nicht mehr keimfähig sind. Die natürliche Fortpflanzungsfähigkeit wurde ihnen also genommen. Sie wurden sterilisiert.

Damit sind die Landwirte (egal, ob Kleinbauer oder Großproduzent) gezwungen, Jahr für Jahr die Samen der Samenproduzenten zu kaufen. Und diese haben durch Sortenschutzrechte eine Art Patentschutz auf diese Pflanzen, können also bestimmen, welche Sorten angebaut werden dürfen - und welche nicht. Ein schönes Beispiel hierfür war der Streit um die Kartoffelsorte “Linda”.

So nun aber zur übersetzung

Stellt Euch die Samenproduzenten als Vertreter der Musik- oder Filmbranche vor. Also als Sony, Virgin, Warner Bros. und Co. Diese teilen den Markt unter sich auf, denn die sechs größten Saatgutproduzenten beherrschen rund 80% des Weltmarkts.

Der Staat schützt die Entwicklung neuer Filme und Lieder (also Sorten) durch entsprechende Gesetze. Das nennt sich dann Urheberrecht. Oder bei Pflanzen eben Sortenschutz.

Bei Musik und Filmen dürfen wir uns jedoch (unter bestimmten Bedingungen) eine private Kopie ziehen. Bei Pflanzen hingegen wird uns das durch Hybridsorten und GVO-Züchtungen verwehrt. Das ist sozusagen der “Kopierschutz” der Saatgutindustrie.

In einigen Ländern, beispielsweise in Frankreich, ist es sogar illegal, alte, traditionelle Sorten zu tauschen oder zu verschenken. Also alle Sorten, die nicht auf einer offiziellen Sortenliste stehen und der Kontrolle der Großkonzerne unterliegen. Da läuft gerade ein interessanter Prozess vor dem EuGH (.pdf). Möglicherweise wird dieses Verbot bald gekippt.

Stell Dir vor: Ein Freund von Dir macht Musik. Er ist nicht bei der GEMA und stellt seine Lieder unter freien Lizenzen zur Verfügung. Aber trotzdem dürftest Du mir diese Lieder weder geben, noch schenken oder gar verkaufen. Ja, selbst er dürfte sie nicht weitergeben.

Es wäre so, dass nur Lieder gehört, verschenkt, getauscht oder verkauft werden dürften, die auf einer offiziellen Liste (beispielsweise) der GEMA stehen. Das gleiche gilt natürlich für Software, Filme oder Bücher.

Patente auf Gene

Aber es kommt noch schlimmer. Dadurch, dass einige Länder auch genetisch veränderte Pflanzen (aber auch Tiere) patentieren, erhalten die entsprechenden Saatguthersteller nicht nur das Recht an diesen Pflanzen. Nein, die Patente sind oft so schwammig, dass dadurch auch Rechte an Produkten aus diesen Pflanzen lizenzpflichtig werden. Ich sag nur Schnitzel, Steaks und so weiter.  (Report aus dem Jahr 2009 [pdf])

Die Konzerne beschäftigen sogar eigene Kontroll-Truppen, um zu prüfen, dass keine Neu-Aussaat ihrer Pflanzen durch die Bauern passiert. Und ja, es wird auch gegen die Bauern geklagt.

Wir haben hier also eine Industrie, die nicht nur die gleichen Methoden einsetzt, wie die von Netzaktivisten und Piraten vielzitierte Kreativ-Industrie. Nein, zum Teil träumt die Medienindustrie von solchen Möglichkeiten.

Nur leider betrifft das eben nicht den aktuellsten Hollywood-Blockbuster, denn sich Hänschen Müller aus dem Netz zieht. Nein, es betrifft unser aller Essen das täglich auf unsere Teller kommt.

Verlust an genetischer Vielfalt.

Das wird uns von Politikern und Lobbygruppen dann (unter anderem) als Verbraucherschutz verkauft. Denn wenn kontrolliert werden soll, dass keine “schlechte Nahrung” auf unseren Tellern landet muss die Sortenvielfalt eingeschränkt werden. Sonst würde der Kontrollaufwand ins Unermessliche steigen. Außerdem sind diese Sorten (oft) produktiver, die Früchte einheitlicher und angeblich besser geschützt gegen Insekten oder andere Schäden.

Wieso dann GVO-Pflanzen gezüchtet werden, die gegen bestimmte Pflanzenschutzmittel resistent sind, verstehe ich nicht. Oder wieso seit Beginn der industriellen Landwirtschaft mit Hybridsorten der Pestizidverbrauch enorm gestiegen ist auch nicht.

Früher hatte jede Region ihre traditionellen Sorten. Sie waren angepasst an Klima, Bodenbeschaffenheit und Saison. Heute gibt es ganzjährig den gleichen Einheitsbrei. So werden in Frankreich heute im Großen und Ganzen fünf Apfelsorten gehandelt. Um 1900 gab es mehr als tausend verschiedene Sorten.

Nur waren die nicht so schön einheitlich, ließen sich nicht optimiert für große Supermarktketten herstellen, waren nicht darauf ausgelegt, Transportwege von tausenden von Kilometern zu überstehen und auch nach 1 Woche, bis sie beim Kunden ankommen noch frisch zu erscheinen.

Wir haben in den letzten Wochen beispielsweise Salat aus dem eigenen Garten geerntet. Knackfrisch hat seither eine ganz neue Bedeutung.

Stellt Euch vor, in den Charts oder im Radio gibt es nur noch drei Popbands, daneben vier Dance-Acts, zwei Rockgruppen und einen DSDS-Gewinner. Kleinkünstler gäbe es dann nur noch nicht-kommerziell. Sie würden von Liebhabern gehört und hätten niemals eine Chance von ihrer Musik zu leben. Zumindest in Deutschland. In Frankreich wären sie verboten.

Allerdings würden ihre Lieder dazu genutzt, daraus Songs für die wenigen Retorten-Kommerz-Künstler zu erstellen. Natürlich ohne Kompensation.

Die Welt von Morgen

Ich glaube nicht, dass sich diese Entwicklung umkehren wird. Im Gegenteil. Du weißt schon heute nicht, von welcher Tomatensorte diese geschmackfreien roten Bälle im Supermarkt kommen. Kein Kind wird mehr wissen, dass es auch grüne, gelbe, lila oder schwarze Tomaten gibt. Grüne Tomaten in Wurstform würden als Lüge erscheinen.

Der Geschmack echter Tomaten wäre unbekannt, man kennt nur noch den Geschmack von wässrigen “Nachahmungen”.

Unsere Nahrung wird dadurch bestimmt, was sechs Konzerne an Saatgut zulassen. Deren Lobby regelt, wie Sortenschutzgesetze aussehen. Ganz so, wie die Lobby der Kreativindustrie dafür sorgen will, dass wir nur noch den Einheitsbrei aus Hollywood, DSDS und Co oder RTL2 erleben können.

Der Anbau eigener Pflanzen im eigenen Garten wird nur dadurch möglich sein, dass Du Dir jedes Jahr aufs neue (Hybrid-)Samen bei Obi und Co. kaufst. Vielfalt wäre auch hier ein Fremdwort.

Dies ist eine Welt, in der ich nicht leben will.

Ich weiß, dass ich mit meinen Worten sicherlich nicht die Welt verändern werde. Das ist OK. Wenn aber nur ein oder zwei andere Menschen auf die Idee kommen, dass es mehr gibt, als diese roten, wässrigen (Tomaten-)Bälle im Supermarktregal, dann freut mich das.

Und wenn jeder, der eine selbstgezogene Tomate erntet ein Stück davon seinen Freunden schenkt, dann wird der Geschmack selbst zum Botschafter.

Das wäre eine Welt, in der ich leben will.