Ein dunkler Ort



Ich hatte nun fast zwei Monate frei. Ein Ausgleich für geleistete Überstunden. Heute geht es mir allerdings noch schlechter als zuvor.

wagon

Man sollte meinen, dass zwei freie Monate selbst in Zeiten einer globalen Pandemie dafür sorgen, dass man wieder voller Energie und Kraft ist. Dass es einem gut geht und man die Strapazen der Monate davor weggesteckt hätte. Mitnichten.

Wer bin ich?

Wer bin ich - diese Frage hat sich mir in den letzten Jahren selten bis nie gestellt. Und wenn hab ich sie schnell weggedrückt. Vielleicht, weil auch einfach nie die Zeit dafür da war sie wirklich zu beantworten. Und doch hätte ich, wäre mir die Frage von Außen gestellt worden, immer eine Antwort gewusst.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte die Antwort irgend etwas in die Richtung "Ich bin Datenanalyst" gelautet. Damit hätte ich einerseits zwar nur beschrieben, was ich beruflich mache, andererseits aber auch das Problem gut umrissen.

Ich weiß im Grunde nicht wer ich bin.

Nur war mir das lange Zeit nicht bewusst. Immerhin hatte ich ja viel (zu viel) zu tun (um darüber nachzudenken).

Die letzten Wochen - und einige Vorkommnisse der letzten Zeit - zeigen mir gerade jedoch sehr deutlich, dass mir mein Kern abhanden gekommen ist. Wenn mir dieser denn jemals bewusst war.

Ich habe gerade das Gefühl, dass ich stets nur die Erwartung anderer war. Ein Stück Ton geformt vom Bild der Menschen in meiner Umgebung.

Du bist was Du leistest

Je mehr ich reflektiere und je mehr ich versuche mich zu erinnern, umso mehr kommt es mir so vor, als sei ich (fast) immer von diesem einem Verhaltensmuster geprägt gewesen. Seit ich mich erinnern kann. Bis heute.

Im Grunde empfand (und empfinde) ich stets nur (Fremd- und Selbst-)Wert, wenn ich etwas geleistet hatte (habe). Wenn ich funktioniere. Wenn ich die Erwartungen meines Umfeldes mindestens erfülle, wenn nicht übertreffe. Und natürlich umgekehrt ganz genauso.

Egal, ob das Mitschüler waren, die klar gezeigt haben, dass ich nichts wert bin, weil ich die falschen Klamotten trage.

Oder ob das - aus seiner Warte total gut gemeint - mein Vater war, der mich finanziell zum Lernen (für Latein) motiviert hat. Oder andere im familiären Umfeld, bei denen ich rückblickend nur "gut" war, wenn ich in deren Sinne funktioniert habe. So zumindest aus der heutigen Rückschau. Beziehungsweise für die ich das schwarze Schaf war, wenn ich eben nicht in deren Sinne funktioniert habe und nicht in deren Weltbild gepasst habe. Teilweise bis heute.

Oder, ob das Freunde/Bekannte waren, bei denen Feedback auch viel zu oft zu dem kam, was ich kann/leiste/helfe, anstatt zu mir als Person.

Natürlich gab (und gibt) es Ausnahmen. Aber im Meer der Mehrheit sind dies nur kleine Inseln.

Und so finde ich mich heute noch darin wieder, wie schwer es mir fällt klare Grenzen zu ziehen. Mich abzugrenzen um meinen Kern zu schützen. Wie sehr ich mich, getrieben vom Wunsch nach positivem Feedback, den Erwartungen anderer anpasse.

Ein dunkler Ort

Und so sitze ich hier, stelle fest, dass ich nicht weiß wer ich bin und was ich eigentlich (sein) möchte. Merke, dass eine unbeschreibliche Unzufriedenheit und Traurigkeit in und auf mir lastet. Und ich gerade weder vor, noch zurück, noch links oder rechts weiß.

Ich fühle mich in meinen Gedanken gefangen, sehe weder Tunnel noch Licht. Und funktioniere nur nach Außen (meistens zumindest).

Wer ich wirklich bin. Was ich wirklich sein und/oder machen will ist eine Frage, zu der mir aktuell noch nicht einmal die Werkzeuge zur Beantwortung in Reichweite erscheinen.

zelle

Aber vielleicht nennt sich das ja auch nur Midlife-Crisis.