Lieber ehrlich und ungeliebt, als unehrlich und geliebt



Ich wollte ja, aber ich hatte keine Zeit. Wer kennt ihn nicht, diesen Satz. Wer hat ihn nicht selbst schon mal genutzt? Ich selbst leider viel zu oft.

Wenn wir diesen Satz benutzen, wollen wir nett sein. Wir wollen andere nicht verletzten und wir wollen auch vor uns selbst nicht ehrlich sein. Wir schützen uns damit in zwei Richtungen. Negative Reaktionen werden abgemildert und auch vor uns selbst haben wir eine tolle Ausrede. Unser Gewissen wäscht seine Hände in Unschuld.

Dabei bedeutet "Ich hatte keine Zeit" nichts anderes, als "Das war mir nicht so wichtig".

Für mich ist der Winter immer auch die Zeit, in der ich mich innerlich zurückziehe. In meinem Kopf ist es die Zeit, in der ich auf meiner gedanklichen Couch sitze und das vergangene Jahr am inneren Auge vorbeiziehen lasse. Die Zeit, in der ich mich frage, was im abgelaufenen Jahr gut und was schlecht gelaufen ist. Und welche Fehler ich künftig vermeiden möchte.

“Ich hatte keine Zeit” ist ein derartiger Fehler. Der Satz ist einfach unehrlich. Er ist ein Ausdruck des allzu menschlichen Wunsches geliebt zu werden und Konflikten aus dem Weg zu gehen. Von allen Menschen geliebt zu werden, ist unmöglich zu erreichen - oder hat einen Grenouilleschen Tod zur Folge.

Vor meinem Umzug nach Hamburg hatte ich beispielsweise viel mehr sinnfreie Zeit zur Disposition. In den letzten Jahren haben sich meine Prioritäten jedoch massiv verändert. Ich habe mich verändert. Daher nutze ich meine Zeit heute anders, als früher.

Heute sind mir meine Beziehung, die Arbeit, Sport, ausreichend Schlaf, dieses Blog und meine persönliche Weiterbildung viel wichtiger, als noch vor drei Jahren. Ich plane längerfristig und haushalte mit meinen Ressourcen. Zeit ist eine dieser Ressourcen.

Vielleicht mag es für viele arrogant und gefühlskalt klingen, wenn ich meine Zeit in einer Kosten-/Nutzen-Rechnung betrachte. Vielleicht ist es das sogar. Doch es funktioniert.

Ich hab pro Tag ein "Vermögen" von 1440 Minuten. Dieses Vermögen ist nicht auf den folgenden Tag übertragbar. Ich muss mich also fragen, wie ich das mir gegebene Vermögen am sinnvollsten nutze. Dabei erweisen sich manche Ausgaben als Investitionen mit einem negativer Rendite. Auf Dauer ist negative Rendite jedoch die denkbar schlechteste Investition.

Künftig also kein "Ich hatte keine Zeit" mehr. Künftig sollte es heißen: "Das war mir nicht wichtig genug." Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund sich dafür zu entschuldigen. Ich will lieber ehrlich sein, als nett.

Lieber weniger geliebt, als nicht mehr in der Lage mir im Spiegel in die Augen zu sehen.