Politik ohne Verantwortung



Politische, ebenso wie moralische Verantwortung sollte sich dadurch auszeichnen, dass man die Konsequenzen für sein Handeln trägt. Bei unseren Politikern sehe ich dies nicht. Stattdessen wird Verantwortung abgewälzt auf Strohmänner und Sündenböcke. Doch wieso?

Fragen über Fragen: Oder wo ist die politische Strategie verborgen?

"Aus großer Kraft folgt große Verantwortung" (Onkel Ben, "Spiderman")

In den letzten Monaten (nein, eigentlich schon Jahren), taucht der Begriff der Euro-Krise mit hübscher Regelmäßigkeit in der journalistischen Berichterstattung auf. Dann wird wieder davon erzählt, wie irgend ein (meist) südeuropäisches Land massive Geldprobleme habe.

Und dass nun der ESM, die Troika oder sonst irgendwelche politischen Akteure wieder richtig aufgeregt seien, weil sie sich in ihre Flugzeuge setzen, sich treffen und bei Kaffee und Kuchen beschließen dürfen, wie viel Geld das jeweilige Land (als Kredit) bekommt.

Natürlich beschließen sie auch, welche Auflagen das Land bekommt, also wie viel die dortigen Politiker sparen müssen. Und dann lese ich die Kommentare unter solchen journalistischen Berichten und frage mich, warum da so viel Hass gegen die Griechen (Italiener, Spanier, etc) transportiert wird in besagten Kommentaren. Und wieso so viel falsche Tatsachen wiedergekäut werden.

Die erste Frage, die ich mir also stelle ist:

Wieso können weder Politik, noch Presse, die Eurokrise verständlich, ehrlich und unaufgeregt erklären?

Immer mal wieder heißt es in entsprechenden Berichten, dass ja Deutschland vom Euro profitiert habe und nun eben etwas vom Profit zurückgeben müsse. Der Euro bringt uns also volkswirtschaftlich mehr Geld, als uns seine Rettung an Steuergeldern kostet.

Kann das mal bitte einer erklären?

Wieso werden die Vorteile des Euro für Deutschland nicht klar und verständlich benannt und erklärt?

Am meisten regt mich an diesen Euro-Debatten dieser (gar nicht so) latente Rassismus auf, dieser völkische Nationalismus, der in vielen Berichten, Pressestimmen und Kommentaren durchkommt. Ich habe Artikel gelesen, die hätten auch in anderen Zeiten kein Aufsehen bei den Zensoren erregt.

Vor allem aber habe ich Aussagen in Diskussionen gehört, da wurde mir anders. Bürger anderer Nationen wurden da als "faules Pack" und schlimmeres beschimpft. Als undankbar bezeichnet, weil sie gegen Deutschland/Merkel protestieren, wo sie doch so viel von unseren Steuergeldern bekommen. Und so weiter.

Daher auch meine letzte Frage:

Wieso lassen Politik und Presse diese völkisch-nationalen Ressentiments zwischen den EU-Staaten zu und treten ihnen nicht entschlossen entgegen?

Das heißt, wieso spielen unsere Volksvertreter, ebenso wie unsere Presse mit dem sprichwörtlichen Feuer? Und gießen teilweise sogar noch Öl hinein? Wieso werden Thesen und Aussagen hoffähig, die wir längst überwunden glaubten?

Ich habe keine Antworten. Nur Ideen.

Schon in der Antike galt es als Zeichen eines guten Redners, dass er sich auf das sprachliche Niveau, ebenso wie auf den Wissensstand seiner Zuhörer einstellen konnte. Er konnte sein Thema also so aufbereiten, dass ihn jeder verstehen konnte. Genau diese Fähigkeit fehlt mir bei unseren Politikern. Oder ich bin blind und sehe sie einfach nicht.

Können sich unsere Politiker nicht in ihr Wahlvolk versetzen und verstehen, wie man solche (zugegeben) komplexen und komplizierten Zusammenhänge vereinfacht erklären kann? Sind sie also unfähig politisches Wissen zu vermitteln.

Sind wir Bürger schuld, weil wir einfach zu dumm sind, unsere weisen Führer zu verstehen?

Fehlendes Wissen und fehlende Vermittlung

Oder sind es vielleicht oft genug auch die Politiker selbst, die diese Themen gar nicht vollständig verstehen, über die sie da entscheiden und abstimmen?

Gab es nicht bei der Abstimmung zum ESM einige Abgeordnete, die indirekt zugegeben haben, dass sie keine Ahnung haben, über was sie da abstimmen - und welche Folgen ihre Stimme haben könnte?

Was aber, wenn dem so wäre. Was, wenn unsere Volksvertreter, die Menschen, denen wir mit unserer Wahl den Regierungsauftrag erteilt haben, selbst nicht wissen, was sie tun? Sich auf Aussagen von Vordenkern in der Partei (oder den Lobby-Organisationen) verlassen und entsprechend diesem vorgekauten "Wissen" dann entscheiden?

Oder wenn sie sich aus der Presse darüber informieren, worüber sie abstimmen. In genau der Presse, die sich ebenfalls nicht gerade durch überzeugende Wissensvermittlung ausgezeichnet hat. Und oft genug auch einfach dadurch, dass sie keine Ahnung hat, worüber sie da schreibt.

Was, wenn in einem gefährlichen Perpetuum Mobile das politische Nichtwissen zwischen Presse, Politik und Bürgern perpetuiert wird? Kann das möglicherweise manche der gravierenden Fehlinformationen im Wahlvolk erklären?

Die Bedeutung des Euro für Deutschland

Wenn wir davon aussgehen, dass Deutschland wirklich von der Einführung des Euro profitiert hat, stellt sich ja immer noch die Frage, wie man das zeigen, berechnen und vermitteln kann. Und, wieso niemand mal die Karten auf den Tisch legt und erklärt, wie und wodurch Deutschland in den vergangenen 11 Jahren wirklich profitiert hat.

OK, neuerdings gibt es die Studie eines japanischen Volkswirtes, der eigentlich berechnet hat, wie groß der Einfluss von Hartz IV auf die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland in den vergangenen Jahren war. Dabei hat er auch festgestellt, wie hoch der Einfluss von EZB und Euro war.

Dabei kam auch raus, dass die Hälfte der wirtschaftlichen Entwicklung auf niedrige Zinssätze der EZB zurückzuführen sind. Zinssätze, die niedrig gehalten wurden, damit die größte europäische Volkswirtschaft in Schwung kommt.

Die aber auch zugleich in vielen Ländern ein "Konsum auf Pump"-Verhalten gerade in der Politik ausgelöst haben, das uns heute als Staatsschuldenkrise auf die Füße fällt.

Zugleich haben die Schröderschen Reformen (Agenda 2010) auch dafür gesorgt, dass der Druck auf das Lohnniveau aufrecht erhalten blieb. So konnte ein deutliches Ansteigen der Löhne in Deutschland verhindert werden.

Zu unser aller Vorteil. Denn so wurden Arbeitsplätze erhalten. Auch wenn wir heute drei Prozent weniger Real-Lohn in den Taschen haben, als noch vor elf Jahren.

Das heißt die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte, die im Export vor allem in die benachbarten EU-Staaten wandern, wurde durch zwei Faktoren ermöglicht. Günstiges Kreditzins-Niveau für günstige Investitionen und deutlich langsamer steigende Löhne, als bei unseren Nachbarn.

Und natürlich die gleichen günstigen Zinsen, so dass dort Konsum gefördert wurde. So wurden von deutschen Unternehmen die Waren produziert, die unsere Nachbarn gerne gekauft haben.

Und ja, ich weiß, dass ich hier massiv verkürze.

Deutschland profitiert vom Euro, aber nicht nur

Die Frage ist doch, von wem die entsprechende Politik befördert wurde. Da ist zum einen die SPD unter Gerhard Schröder. Hier war auch der heutige Kanzler-Kandidat beteiligt, der die Agenda 2010 immer noch verteidigt. Aber auch Frau Dr. Merkel ist nicht aus dem Schneider. Vor 10 Jahren war sie Führerin der Opposition:

Die CDU trug die Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung mit und stimmte, nachdem sie im Vermittlungsausschuss noch weiter gehende Forderungen durchgesetzt hatte, den Gesetzesänderungen in Bundestag und Bundesrat zu. (Quelle: Wikipedia)

Die Grünen waren an der Regierung beteiligt, die FDP in einigen Landesparlamenten. Es gibt also keine ernstzunehmende politische Kraft, die nicht an dieser Politik beteiligt war.

Kein heutiger Politiker, darf sich von der Verantwortung befreien, welche ihm die Schrödersche Agenda-Politik für die heutige Krise in Europa aufbürdet. Weder in Deutschland, das durch niedrige Löhne und niedrige EZB-Zinsen seinen Aufschwung durch Exporte in die EU ermöglichte, noch die Politiker in den Krisenländern, bei denen ebenfalls viele schon in den letzten 10 Jahren die entsprechenden Politik-Strategien verfolgt und mitgetragen haben.

Wenn man nun aber unsere Führungselite danach fragt, was die wahren Gründe für die Krise sind, würde das bedeuten, dass Merkel ja die Politik Schröders (also der Konkurrenz) loben müsste. Und damit aber zeitgleich gegenüber der EU-Öffentlichkeit zugeben müsste, wie sehr Deutschland auf Kosten der Nachbarn vom Euro profitiert hat. Damit würde sie sich selbst als einen wichtigen, ursächlichen Faktor der heutigen Krise brandmarken.

Ehrlich gesagt, etwas, das ich Frau Dr. Merkel nicht so recht zutrauen kann.

Folgt daraus also, dass unsere Arbeiter-Schicht durch Real-Lohnverluste und unsere europäischen Nachbarn, durch staatlich und EU-beförderte Schuldenpolitik für den deutschen Aufschwung der letzten 10 Jahre gesorgt haben?

Euro vs. deutsche Löhne: 50/50

Haben diese Faktoren also für ein Anwachsen des DAX um den Faktor 3,2 und damit für eine gute Verdreifachung des Aktienvermögens von juristischen Personen gesorgt? Damit also auch in ein Ansteigen der Vorstands-Bezüge eben jener Unternehmen um den Faktor 3,3? Während die durchschnittlichen Bruttolöhne in der gleichen Zeit um den Faktor 1,11 wuchsen.

Zum Vergleich: Wäre der deutsche Brutto-Durchschnittslohn in dieser Zeit wie die Vorstandsbezüge gestiegen, läge er bei ca. 85.800 Euro. Tatsächlich liegt er bei 28,333 Euro.

Nein, Frau Dr. Merkel wird nicht eingestehen, dass die deutsche Wirtschaft massiv auf Kosten von Griechenland, Italien, Spanien und Co. gewachsen ist. Ebenso wie sie nicht eingestehen wird, dass fast 50% dieses Wirtschaftswachstums durch die Reallohn-Stagnation in der deutschen Arbeiterklasse zustande kam.

Endgültig im Reich der Spekulation angekommen

Und jetzt kommen wir endgültig ins Reich der Spekulation. Bewegte ich mich bisher zumindest auf einem Fundament, dass durch Studien und Wissenschaftler ebenso wie durch Beobachtung ein wenig abgesichert war, so komme ich nun nicht darum herum, nach Gedanken und Motiven zu fragen.

Da ich nicht in den Kopf von Merkel (pars pro toto) blicken kann, muss ich mich auf Interpretation, das heißt bei Politikern, auf wilde Spekulationen verlassen. Dennoch glaube ich, dass ich damit interessante Gedanken anstossen kann.

Ich habe mir die Frage gestellt, ob es für die jeweilige Regierung (egal, ob Deutschland, Griechenland, Italien und Co.) nicht einfacher ist, wenn sich Wut und Frust der Bürger an Strohmännern (also Merkel und die Deutschen in Südeuropa, die faulen Griechen oder Zyprier in Deutschland) abarbeiten.

Wie schon erwähnt, hatten die Krisenstaaten in Zeiten günstiger EZB-Zinsen nicht gerade gut gewirtschaftet. Und viele der Politiker, die dort heute an der Macht sind, spielten schon damals eine Rolle.

Würden sie die tatsächlichen Ursachen der Krise ansprechen, käme auch ihre Rolle zur Sprache. Ihre heutige Machtposition wäre vermutlich schnell dahin. Gleiches gilt übrigens auch in Deutschland. Merkels Rolle in der Schröderschen Agendapolitik (Verschärfung der Situation für Arbeitslose, Liberalisierung Arbeitsmarkt, etc.) würde ihr wohl keine Wiederwahl einbringen.

Da ist es natürlich einfacher den Griechen vorzuwerfen, dass sie (beispielsweise) zu früh in Rente gehen (was faktisch noch nicht einmal stimmt). Das betrifft natürlich ebenso Steinbrück, die Grünen oder die FDP. Nur bei den Linken weiß ich es nicht, die spielten damals weniger eine Rolle.

Wir Bürger sollen möglichst nicht davon abgehalten werden unser Kreuz an der (vermeintlich) richtigen Stelle auf dem Wahlzettel zu machen.

Ungleich und Ungleich gesellt sich nicht gern

Außerdem: Was würde das denn bedeuten, würden die Ursachen für die Krise beim Namen genannt. Man müsste eben auch zugeben, dass die Real-Lohn-Verluste in Deutschland mitverantwortlich sind für die Krise in unseren Nachbarstaaten.

Der Profit der Wirtschaft und der Kapitalseigner auf Kosten der Arbeitnehmer und der Nachbarländer wird so gleich doppelt tragisch. Die Masse der Steuerzahler in Deutschland, die seit der Krise für die Risiken von Banken und Nachbarstaaten bürgen ist genau die Masse der Menschen, die wenig bis nichts vom Nutzen des Euros für Deutschland hatten.

Eigentlich eher verwunderlich, dass nach einer aktuellen Umfrage immer mehr Menschen für den Euro sind und sich nicht mehr die D-Mark zurück wünschen.

Ein trauriges Fazit

Die Zahlen stimmen (so über den Daumen gepeilt). Die Einblicke in Motive/Psyche von Politikern nicht unbedingt. Ich versuche mir eine Meinung zu bilden in der laufenden Diskussion.

Ich versuche zu verstehen, wieso wir in einer Zeit leben, in denen nationalistisch-völkische Stereotypen wieder en vogue sind. Wieder hoffähig geworden sind.

Ich finde es deutlich unverantwortlich, wenn existierende sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse darauf deuten, dass die wirtschafts-politischen Entscheidungen der vergangenen 10 Jahre die Krise befeuert haben, uns aber gleichzeitig faule Griechen (pars pro toto) zu Unrecht als Sündenböcke verkauft werden.

Aber natürlich auch, wenn "die Deutschen" als Sündenböcke für die Fehler der heimischen Politiker herhalten müssen, nur dass diese sich ihren Hintern und ihre Pfründe retten können.

Ein Schlusswort zur Journalie

Egal, ob in Deutschland, oder Südeuropa:

Mit Blick auf hohe Auflagen das völkisch-nationalistische Feuer in Europa anzufachen und entsprechende Ressentiments zu schüren, finde ich mehr als zynisch, nachdem ihr mehr als 10 Jahre Euren Auftrag als Wächter von Politik und Demokratie nicht erfüllt habt.

Ich weiß, ihr verdient mit solchen Schlagzeilen "gutes" Geld und pecunia non olet.