Sapere Aude
"Sapere Aude" war der Leitspruch der Aufklärung. Hab den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.
Weniger Mut, mehr Wut
Offensichtlich ist es eine Tradition am Ende eines Jahres zurückzublicken. Und auch ein bisschen in die Zukunft.
Am Ende eines Jahrzehnts scheint diese Tradition noch ein bisschen stärker.
Im letzten Jahrzehnt haben wir den Aufstieg der sozialen Medien erlebt. Ebenso die Fähigkeit zu jeder Zeit mit dem Internet verbunden zu sein.
Wir teilen uns heute regelmäßig nicht nur einer viel größeren Menge an Menschen mit, als noch vor zehn Jahren. Auch haben wir andere gesellschaftliche Metriken für unseren persönlichen Erfolg entwickelt.
Oder uns wurden diese als erstrebenswert vermittelt.
Wir beurteilen uns durch die Anzahl Reaktionen auf unsere Postings/Gedanken/Bilder/what ever. Und die Anzahl der Menschen, die wir damit erreichen.
Metriken und Werte steuern unser Verhalten. Teils zumindest das Verhalten jedes Einzelnen (und ich nehme mich davon sicherlich nicht aus) und in Summe das Verhalten einer Gesellschaft.
Damit hat das beinahe zwangsläufig auch kommerzielle Auswirkungen. Wir definieren uns dadurch, wie Menschen auf unsere digitalen Ergüsse reagieren.
Daraus ergibt sich ein kommerzieller Anreiz für die Plattformbetreiber. Und dies hat einen einfachen aber entscheidenden Effekt zur Folge.
Radikalisierung durch Maschinen
Wir engagieren uns bei Inhalten die uns emotionalisieren. Wir loben und liken wenn wir der gleichen Meinung sind.
Wir reagieren wenn jemand im Internet falsch liegt.
Wir werden getriggert, fühlen uns angegriffen, fühlen uns getroffen. Sind die bellenden Hunde.
Maschinen im Hintergrund präsentieren uns selektive Blicke auf die Welt. Auf die Inhalte, die andere teilen. Die Algorithmen entscheiden, was wir sehen.
Maschinen entscheiden anhand ihrer Erfolgsmetriken was sie uns zeigen. Sie experimentieren um unser "Engagement" möglichst hoch zu halten. Also die Zeit auf den Plattformen und die Menge unserer Reaktionen.
Dies sorgt nahezu zwangsläufig - für eine Trennung in "wir" und "die". "Wir", die wir vernünftig sind. Wir, die wir die Wahrheit kennen. Wir, die wir die Lügen und Fake News der anderen Seie erkennen.
Wir werden in unsere Filterblasen, in unsere geistigen Communities eingebettet. Wir fühlen uns dort verstanden und wohl. Zumindest, solange wir gedankenkonform bleiben und exakt im Wertekanon der Gemeinschaft verbleiben. Nur was passiert, wenn wir zu Abweichlern werden?
Mehr Mut, weniger Wut
„Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ (Immanuel Kant, 1784)
Das Motto der Aufklärung. Dies wünsche ich mir auch für das kommende Jahrzehnt. Lasst uns doch wieder den Mut haben uns unseres Verstand zu bedienen.
Lasst uns nicht mehr auf die Bauernfänger hören, die uns einfache Antworten auf komplexe Probleme versprechen. Lasst uns gerne hart, aber eben faktenbasiert diskutieren. Lasst uns nicht den Menschen, sondern die Thesen "angreifen". Und damit meine ich gerne hinterfragen und auf Beweise pochen.
Lasst uns eine Kultur schaffen, in der Clickbait verpöhnt und hinterfragte Gedanken gewollt sind.
Sapere aude
Ich wünsche mir eine neue Aufklärung. Wieder mehr Rationalität und eine faktenbasierte Auseinandersetzung.