Soziale Netzwerke: Freundschaft wird überbewertet
Der Begriff der Freundschaft erscheint in Zeiten sozialer Netzwerke überstrapaziert. Das Zeichen scheint unklar zu werden. Vielleicht ist es Zeit für eine neue Sprachregelung in sozialen Netzwerken.
Was bedeutet Freundschaft? Was verbinden Menschen damit, wenn sie die Lautfolge hören oder die Buchstabenfolge lesen? Selbst für den einzelnen Menschen bedeutet der Begriff oft Unterschiedliches. Der Begriff wird facettenreich und uneindeutig. Zum Signifikant gesellen sich unterschiedliche Signifikate. Das Zeichen gewinnt auf diese Art zwar neue Bedeutungs-Dimensionen, wird aber uneindeutig. Letzteres wird für die Kommunikation zum Problem.
Tina Klopp schreibt im Blog “Kulturkampf” auf zeit.de:
Wer kümmert sich eigentlich im analogen Leben um all die armen Seelen, die Freundschaft nicht von Bekanntschaft unterscheiden können, die sich auf Weihnachtsfeiern zum Löffel machen oder bei geöffnetem Fenster so laut und peinlich streiten, bis sie endlich bemerken, dass das Kichern aus der Nachbarwohnung ihren Worten gilt?
Ich glaube, dass es weniger darum geht, dass Menschen, die sich stark in sozialen Netzwerken bewegen diese Unterscheidung nicht treffen könnten. Ich glaube es geht hier viel mehr um einen blinden Fleck bei denjenigen, die rein negativ-kritisch an das Thema herangehen. Negativ-kritisch deswegen, weil sie einen Zustand beklagen, ohne Lösungen vorzuschlagen. Es ist leider das alte Lied: “Video killed the radio star.” Oder: “Der Roman verdirbt die Jugend.”
So schreibt der ehemalige Yale-Professor und Literaturkritiker William Deresiewicz in "The Chronicle of higher Education":
We have given our hearts to machines, and now we are turning into machines. The face of friendship in the new century.
Seinen Text lesend, erschrecke ich über die Eindimensionalität, mit der ein ehemaliger Professor für Literatur ein derartiges Phänomen verurteilen kann. Mit welcher Ignoranz eine gesellschaftliche Entwicklung ausgehend von klassischen Freundschaftsidealen, über christliche bis hin zu modernen gezeichnet wird, ohne dabei einzugestehen, dass es schon immer unterschiedliche Modelle von Freundschaft gab, die friedlich koexistiert haben.
Die meisten Aussagen wiederholen sich.
Ein konstruktiver Umgang fehlt leider oft. Wieso denkt man nicht darüber nach das Listenfeature bei Facebook zu erläutern. Eine Möglichkeit seine Statusupdates nur bestimmten Gruppen aus dem “Freundeskreis” zukommen zu lassen. Oder eben einzelne Personen/Gruppen als Empfänger auszunehmen.
Oder man versucht einen neuen Begriff für die Form der Web2.0 Freunde zu finden. Kontakte beispielsweise ist nicht derart emotional aufgeladen, so dass Missverständnisse hier seltener zu erwarten wären. Man könnte auch den Wunsch äußern, dass soziale Netzwerke unterschiedliche Freundschaftskategorien anbieten, zu denen man seine Kontake zusortieren kann. Die Anzeige könnte ja auf Wunsch trotzdem in einem einheitlichen Freunde-Pool erfolgen.
Jeder, der einen Freund registriert in einem Netzwerk müsste sich durch die Eingabe einer “Gruppenzugehörigkeit” Gedanken darüber machen, wie viel er diesem Menschen von sich preisgeben will.
Das Problem der Nutzer, die sich nicht bewusst sind, wie viel sie wem von sich zeigen, würde dadurch verringert.
In ihrem Buch "Rethinking Friendship: Hidden Solidarities Today" (Amazon Partnerlink) haben Liz Spencer und Ray Pahl acht verschiedene Typen der Freundschaft, basierend auf ihren Untersuchungen, identifizieren können. Ich versuche mich an einer übertragung der Kategorien von Spencer/Pahl:
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Sozii sind Menschen, mit denen ich gemeinsame Aktivitäten teile. Mein Hobby oder Sport beispielsweise. Nützliche Kontakte haben mit mir Informationen geteilt, meist auf die Arbeit bezogen
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Gefällige Bekannte haben ausgeholfen. Vor allem im Sinn von nicht-emotionaler Hilfe
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Gesellige Bekannte sind Freunde, mit denen man weggeht, sozialisiert und Spaß hat, die mir aber nciht auf tiefgründig-emotionalem Level bekannt sind
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Hilfsbereite Freunde sind eine Kombination aus den beiden vorigen Kategorien
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Tröstende Freunde sind wie "Hilfsbereite Freunde", bieten aber auch emotionale Unterstützung
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Vertrauenspersonen teilen auch sehr persönliche Informationen, genießen die Gesellschaft des anderen, sind aber nicht zwangsläufig immer verfügbar, weil sie möglicherweise weit weg leben
- Seelenverwandte zeigen all die obigen Eigenschaften
Vielleicht wird durch einer derartige Einteilung ein produktiverer und sicherer Umgang Kontakten im Netz ermöglicht. Gerade in Netzwerken, in denen viele Kinder und Schüler unterwegs sind, sollte eine derartige Kategorisierung (natürlich mit verständlicher Erklärung) vorhanden sein. Schon um auf die Problematik aufmerksam zu machen.
Was meint Ihr? Brauchen wir eine andere Sprachregelung im Netz - zumindest für all die "Digital Immigrants"?