Stella Splendens: Ein glänzender Stern?
Glänzend, liebes Team von sternTV - ganz großes Kino. Oder wie soll man sonst diesen polemischen Beitrag, getarnt als Journalismus bezeichnen? Steven Spielberg hätte es nicht besser gemacht.
"Diese Form der Demagogie wäre nicht einmal gerechtfertigt, wenn sich die Vermutungen [...] als zutreffend herausstellen sollten. In jeder Erscheinungsform von Rechtsstaat hat jeder Verdächtigte ein Recht, daß, wenn man schon einen bloßen Verdacht publizieren darf, betont wird, daß er nur verdächtigt wird." Die verlorene Ehre der Katharina Blum{:target="blank"}, Heinrich Böll
Irgendwie habe ich es zur Zeit mit schlechtem Journalismus. Ich weiß selbst nicht genau, wieso, doch ich empfinde das, was “die Journaille{:target="blank"}” da so treibt gefährlicher, als unsere unkontrollierten Politiker.
Zur Vorgeschichte
Vor zwei Wochen beschreibt die Redaktion von sternTV den Kampf einer 91-jährigen Rentnerin gegen die Commerzbank AG. Der “armen Frau” habe eine Beraterin eine Geldanlage aufgeschwatzt. Die Anlage hat eine so lange Laufzeit, dass die Rentnerin erst mit 107 Jahren wieder an ihr Geld käme. Damit nicht genug:
"Doch Irmgard Greiner braucht ihr Geld plötzlich. Denn: Sie muss eine Pflegekraft anstellen, alleine schaffe sie den Haushalt nicht mehr, sagt sie." Quelle: sternTV{:target="blank"}
Bitte merkt Euch dieses Zitat, ich komme gleich nochmal darauf zurück.
Natürlich, wie es sich für eine "David gegen Goliath{:target="blank"}"-Geschichte gehört, zeigt sich die “böse” Commerzbank uneinsichtig. Trotz eines negativen Schiedsspruches des Ombudsmanns des Bankenverbandes{:target="blank"}, weigert sich die Bank der Rentnerin ihr Geld auszuzahlen. Ob es dafür möglicherweise plausible Gründe gibt, wird nicht hinterfragt.
Die Widersprüche
So weit, so nachvollziehbar. Immerhin ist es in der aktuellen Lage keine Kunst auf die bösen Banken einzuprügeln. Im Gegenteil, die Sympathien sind bei solch einer Geschichte recht klar verteilt.
Hat man jedoch wie ich eine Freundin, die selbst vor einigen Jahren eine Ausbildung zur Bankkauffrau bei der Commerzbank durchlaufen hat, dann fallen einem (oder zumindest ihr) gewisse Ungereimtheiten an dieser Geschichte auf. Und ein guter Journalist sollte diese ebenfalls erkennen und sich die Mühe machen sie zu hinterfragen. Auch bei einer 91 Jahre alten, sympathischen Rentnerin.
Es wird berichtet, dass die Beraterin zu Frau Greiner nach Hause gekommen sei. Dies passiert doch nicht bei Otto-Normal-Kunde - oder? Oder wer von Euch erhält regelmäßig Hausbesuche seines Beraters? Um zuhause vom Berater besucht zu werden, muss das bei der Bank angelegte Vermögen schon ne Hausnummer größer sein, als beispielsweise ich so auf dem Konto habe. Da stelle ich mir schon automatisch die Frage, wie das mit dem Argument "kein Geld für eine Pflegekraft" übereinstimmen kann. Dazu später mehr.
Man muss auch die Gegenseite nicht wirklich zu Wort kommen lassen. Ein Sprecher der Bank wird vor ein Mikrofon gestellt, wohl wissend, dass er sich zu einem laufenden Verfahren nicht äußern wird. Auch kann er sich nicht äußern, da dies das Vertrauensverhältnis zwischen Bank und Kunde{:target="blank"} (auch vertraglich festgehalten) sprengen würde.
Viel besser (im Sinne der Redaktion) lesen sich dagegen solche Sätze:
“Die Commerzbank AG sieht das offenbar anders - und lehnt die Rückzahlung ab. Und auch das Urteil im Schlichtungsverfahren, in dem es hieß 'die Bank hat ihre vertraglichen Aufklärungspflichten schuldhaft nicht erfüllt', akzeptiert das Unternehmen nicht.” Quelle: sternTV{:target="blank"}
Auch hier ergibt sich in der zweiten Sendung ein Widerspruch. Davon mal ab: Der Schiedsspruch ist ein Verfahren, das nicht bindend ist. Wird er nicht akzeptiert (von welcher Partei auch immer), kann geklagt werden. Damit ist die Klage sozusagen so etwas wie eine zweite Instanz, eine Revision. Nach Aussagen der Commerzbank in diesem Fall sehr berechtigt, da der Schiedsspruch aufgrund unvollständiger Tatsachen erfolgt sein soll. Dies für beide Parteien sicher festzustellen ist die Aufgabe eines Gerichts. Doch darauf muss sternTV weder in den Artikeln zur Sendung, noch in der Sendung an sich, eingehen.
Erinnert ihr Euch an die Aussage der Rentnerin, sie brauche das Geld so dringend, um eine Pflegekraft zu bezahlen? Nun, hier ergeben sich in der Folgewoche zwei interessante Aspekte an der Geschichte:
-
Zum einen: Besagte Anlage umfasst, wie sich herausstellt, 5% des bei der Commerzbank angelegten Vermögens der Dame. Mit einem Anlagevolumen von 800.000 Euro erklärt sich dann auch der Hausbesuch der Beraterin.
- Und zum zweiten: Die Anlage war dazu gedacht, nach dem Tod der Dame in eine Stiftung einzufließen.
Dafür eignet sich die Anlage sehr gut - allein schon aus steuerrechtlichen Gründen.
Wo ist denn der Rest des Vermögens geblieben, von dem ein deutlicher Teil schon seit Jahren in Aktien investiert war? Investiert jedenfalls in deutlich riskantere Werte, wie sich (nicht durch die Recherche der Redaktion), herausstellt. Hat einer der sternTV-"Journalisten" auch nur an diese Frage gedacht? Hätte auch nur einer der so genannten "Journalisten" mal diese Fragen gestellt, die Ungereimtheiten hätten auffallen müssen.
Zumindest, wenn man mehr sucht, als eine polemische, quotenstarke Geschichte. Zumindest, wenn man eine neutrale, "wahre" Berichterstattung sucht.
Eine gute Geschichte - der Tragödie zweiter Teil
Aber so hat man bei sternTV nun die böse Commerzbank da, wo man sie haben will. Zur öffentlichen Erschießung bereit, steht sie an der Wand. Man hat die zweite deutsche Großbank in eine Position gezwungen, aus der heraus eine Verteidigung nur schwer möglich ist. Wer glaubt nach Finanzkrise und Eurokrise noch den böse, bösen “Bankstern{:target="blank"}”?
Und wer glaubt künftig noch seinen heimischen Beratern, wenn diese eine gute, langfristige Anlage anbieten? Und ich gehe hier mal davon aus, dass die wenigsten Berater "schwarze Schafe" sind.
Die Redaktion von sternTV hat, für die zweite Sendung zum Thema, noch ein Ass im Ärmel. Martin Zielke{:target="blank"} kommt als Gesprächspartner ins Studio. Im Vorstand der Commerzbank ist er zuständig für das Privatkundengeschäft. Zielke ist also der oberste Vorgesetzte der "bösen Beraterin", die die "arme Rentnerin" so hinters Licht geführt hat.
Doch damit nicht genug. Man findet sogar noch einige andere Fälle, in denen sich die Hinterbliebenen ehemaliger Kunden über ähnliche Praktiken und Verträge aufregen. Im Ganzen werden drei weitere Fälle genannt.
Im ersten Fall geht es um eine Anlagesumme von 12.800 Euro. Auch hier mit langfristiger Laufzeit angelegt. _“Besonders tragisch an diesem Fall: "Irgendwann reicht die Rente der Seniorin nicht mehr - und sie braucht Geld aus dem Fonds, aber das ist fest angelegt bis 2031." Quelle: sternTV{:target="blank"}
Die Dame verstirbt "hoch verschuldet". Die Redaktion (oder die potentiellen Erben, die das Erbe ausschlagen mussten) nennen die Höhe der Schulden nicht. Eine Einschätzung, ob das Geld aus der Anlage überhaupt ausgereicht hätte die Schulden zu decken, ist so natürlich nicht möglich. Und sternTV stellt solche Fragen nicht.
Der zweite Fall ist noch gravierender. Immerhin geht es hier um 250.000 Euro. Hier hat ebenfalls eine Rentnerin ihrem Berater vertraut. Und erhielt mit 88 Jahren eine Anlage, mit einer Laufzeit von 20 Jahren, so berichtet es die Nichte.
"40 Jahre ist ihre Tante bei der Commerzbank, hat einen persönlichen Berater [...]. Die letzte Unterschrift holt sich der Berater noch, als die alte Dame im Krankenhaus liegt: 'Da hat sie die Unterschrift geleistet, obwohl sie mit Medikamenten versorgt war und nicht richtig ansprechbar. Sie hatte eine ganz schwere Lungenentzündung.' Zwei Wochen später stirbt Gertrud Rasch." Quelle: sternTV{:target="blank"}
Die wichtigste Aussage an dieser Geschichte fällt allerdings in einem Nebensatz. Ich habe sie im Zitat sehr bewusst erst einmal ausgelassen, denn genauso unterschwellig wurde diese Information in der Sendung mitgeteilt:
Es geht um den Berater der Rentnerin: “als der die Firma wechselt”, vertraue ihm die Kundin weiter. Ein Fall, der offensichtlich nichts mit der Commerzbank zu tun hat. Ein (möglicherweise unethischer) Berater, der zum betreffenden Zeitpunkt kein Mitarbeiter des Geldhauses mehr war. Wie lange schon, wird nicht genannt. Möglicherweise erst Tage, oder Wochen - vielleicht Monate, gar Jahre? Die Antwort bleibt sternTV schuldig.
Aber eine tragische Geschichte, ein hoher Geldbetrag und eine Unterschrift im Krankenhaus, kurz vor dem Tod der Kundin. Damit macht man Quote. Damit treibt man die Stimmung auf der Emotionsleiter nach oben. Wahrheit, journalistische Sorgfalt, oder gar Ethik - wozu?
Interessant ist auch, dass die Aussagen des Commerzbank-Vorstandes, der die ganze Sendung hindurch ruhig, unpolemisch, offen und neutral versucht hat zu argumentieren, sich nicht im Artikel auf der sternTV-Webseite finden. Kein einziges Mal wird in beiden Artikeln der Position der Bank Platz eingeräumt.
Journalismus geht anders - oder?
Interessant, da sich neben dem offiziellen Pressekodex {:target="blank"} einige Leitsätze entwickelt haben, die ein Journalist eigentlich "mit der Muttermilch" aufgesogen haben sollte:
- Eine Quelle allein ergibt keine Nachricht. Für eine Nachricht braucht es mindestens zwei voneinander unabhängige Quellen.
Im Fall des ersten Berichts reicht die Schilderung einer Renterin und deren Anwältin (für mich ist das eine Quelle) aus, um eine Hexenjagd zu veranstalten. Gut, es gibt noch die Quelle "Ombudsmann" - das mag vielleicht reichen.
- Bei Konflikten sind die Positionen beider Seiten darzustellen.
Im ersten Bericht, wie oben beschrieben, wird die Gegenposition nur pro Forma dargestellt. Tatsächlich ist jedem Journalisten bekannt, dass sich die Bank nicht dazu äußern kann/wird. In der zweiten Sendung, werden Aussagen des Vorstandes übergangen, ignoriert, ihm wird über den Mund gefahren und er wird in einer Art und Weise vom Moderator an den Pranger gestellt, dass ich mich persönlich schämen muss einen Presseausweis zu haben. In keinem der Beiträge auf der Webseite kommt die Position der Commerzbank zur Sprache.
- Ein Journalist macht sich aus Prinzip keine Sache zu eigen, nicht einmal eine gute. Ein Mindestmaß kritischer Distanz zum Thema (und der eigenen Rolle) ist auch bei sogenannten Herzblut-Themen geboten.**
Kritische Distanz? Mal direkt bei der Rentnerin nachfragen, als klar wird, dass die Anlage gerade mal 5 Prozent des Vermögens ausmacht? Mal die Widersprüche in der Geschichte ansprechen? Nein. Man hat sein Thema für eine Hexenjagd - Journalistische Sorgfalt wäre da nur im Weg.
Nach dem ersten Bericht dachte ich mir noch: Es ist wirklich eine Sauerei, was die Bank-Beraterin mit der alten Dame abgezogen haben soll. Und obwohl ich selbst einen tollen Berater bei der Commerzbank habe, bezweifle ich nicht, dass sich auch unter den CoBa-Beratern so einige schwarze Schafe tummeln.
Ich will auch gar nicht in Abrede stellen, dass die Verkaufs-Ziele, die den Beratern vorgegeben werden, dazu verführen, das diese möglicherweise nicht immer ethisch korrekt verkaufen. Immerhin muss man ja seine Zielmarken erreichen. Denn soweit ich aus meinen Gesprächen mit verschiedenen Bankangestellten heraushören konnte, sind diese Zielmarken doch recht hoch angesetzt. Nichts desto trotz gibt es genug Berater, die ihre Verkaufsziele mit sauberem Gewissen erreichen. Trotz Verkaufsdruck und verdammt viel Stress.
Was mir die Galle überkochen lässt, sind jedoch sogenannte Journalisten, die jegliche Grundlagen ihres Jobs missachten{:target="blank"}. Die sich offensichtlich ihr Gewissen haben chirurgisch entfernen lassen. Die einem Interview-Partner nicht das geringste Maß an Anstand entgegen bringen, so dass man sich wirklich fühlt, als wohne man einem mittelalterlichen Inquisitionsprozess bei, bei dem es darum geht einen Ketzer zu überführen.
“‘Seht Ihr?” rief Bernard aus und wandte sich an die beisitzenden Richter. ‘So reden sie alle! Wenn einer von ihnen gefasst wird, tritt er vor das Gericht, als ob sein Gewissen ruhig und rein wäre. Dabei wissen sie nicht, dass eben dies das deutlichste Zeichen ihrer Schuld ist, denn die Gerechten zeigen sich unruhig im Prozess.’” Umberto Eco, “Der Name der Rose{:target="blank"}” - Inquisitions-Prozess
Nein, der Schuldige stand für Redaktion und Moderator von sternTV von vornherein fest. Ob Frau Greiner (nebst Anwältin) im laufenden Verfahren gegen die Commerzbank möglicherweise eine eigene Agenda verfolgt, scheint die Verantwortlichen der Sendung nicht zu interessieren. Immerhin eine berechtigte Frage, wenn sich jemand in so einer Situation an die Presse wendet.
Eine saubere Recherche der Hintergründe fehlte. Oder zumindest deren Darstellung, was an sich noch schlimmer wäre. Der Umgang mit Martin Zielke ließ mich erschaudern, aufgrund der Menschenverachtung, die ihm von Seiten des Moderators entgegengebracht wurde.
Stella Splendens - Du glänzender Stern
In meiner alten Heimat{:target="blank"} gibt es ein geflügeltes Wort: “_Außen hui, innen pfui{:target="blank"}”, das hier sehr treffend ist. Als glänzender Stern, als Anwalt der kleinen Leute präsentiert sich sternTV auch unter dem neuen Moderator Steffen Hallaschka{:target="blank"}. Der Kampf der Davids, gegen die Goliaths dieser Welt wird unterstützt.
Denn der Kampf des kleinen Mannes (oder der kleinen Frau) bringt Einschaltquoten, sorgt dafür, dass die Werbekasse klingelt, und bezahlt somit Moderator und namenlose Redaktion.
„Die Gewalt von Worten kann manchmal schlimmer sein als die von Ohrfeigen und Pistolen.“ Heinrich Böll: Interview im Oktober 1974
Moral, Ethik oder gar Wahrheit haben hingegen keinen Platz im Universum RTL/sternTV.