Fragen kostet nichts



Ich bin letzthin wieder über einen Satz gestolpert, den ich seit meiner Kindheit nicht mehr gehört habe. Fragen kostet nichts.

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Hintergrund

Ich weiß nicht wie es Dir geht. Aber ich bin damit aufgewachsen dass mir immer wieder gesagt wurde frag ruhig, fragen kostet nichts.

Im Kontext einer Familie macht dieser Satz sogar Sinn. Denn im Grunde möchten die Eltern Geschwister Onkels und Tanten ja nur, dass man seine Bedürfnisse äußert. Und das ist gut.

Denn woher sollen beispielsweise meine Eltern wissen ob ich gerade einen Schluck Tee möchte ein Glas Wasser oder zu meinen Freunden zum Spielen gehen will.

Weder ich noch meine Eltern können schließlich Gedanken lesen.

Daher erklärt sich wieso dieser Satz so häufig ist. Und warum im Kontext Familie tatsächlich auch sinnvoll ist.

Geänderter Kontext

Wir wachsen nun also mit diesem Satz im Ohr auf, werden dazu erzogen jederzeit jede beliebige Frage zu stellen. Denn wie gesagt: Fragen kostet nichts.

Aber stimmt das auch? Wie ihr euch vermutlich denken könnt ist die Antwort auf die soeben gestellte Frage ein klares Nein.

lasst mich euch zwei Szenarien beschreiben anhand derer ich die Antwort etwas genauer verdeutlichen möchte.

Gruppenentscheidung

Nehmen wir die Situation, dass es einen Termin gibt an dem eine relativ große Anzahl von Menschen teilnehmen. Nun verschieben sich umliegende Termine und es wird in die Gruppe die Frage gestellt, ob man diesen gemeinsamen Termin nicht verschieben könne. Fragen kostet ja nichts.

Nehmen wir einmal rein rechnerisch an, dass es sich um eine Gruppe der Größe k handelt. Die Frage zu stellen dauert, ebenfalls eine Annahme, ca. 30 Sekunden.

Nun muss jedes Gruppenmitglied entscheiden, ob die Frage in der eigenen Wahrnehmung relevant genug ist um eine Antwort zu geben. Diese Entscheidung erzeugt kognitive Last und dauert wenige Augenblicke. Sagen wir der Einfachheit halber, dass es 2 Sekunden dauert.

Es ergibt sich neben der kognitiven Last ein Zeitaufwand der Gruppe von (k - 1) x 2 Sekunden. Das heißt, dass bei einer Gruppengröße von 16 Personen die initiale, meist unbewusste Entscheidung, ob es sich überhaupt um eine beantwortenswerte/relevante Frage handelt, die Gruppe ebenso viel Zeit kostet, wie die ursprüngliche Frage den individuellen Fragensteller.

Die Gruppe hat hier also einen Zeitaufwand von 30 Sekunden.

Damit ist die Frage aber noch nicht beantwortet. Nehmen wir an, 33% der Gruppe betrachten die Frage als relevant. Dann müssen diese abwägen, ob eine Verschiebung in Frage kommt, ob andere Termine damit in Konflikt stehen, wie man eine entsprechende Antwort formulieren kann (um den Fragesteller möglichst nicht vor den Kopf zu stoßen - das wird heute ja grundsätzlich erwartet. Doch dazu später mehr.). Sagen wir dieser ganze Gedankenprozess, inklusive der Formulierung einer Antwort dauert 5 Minuten, dann kommen wir zu folgender Formel:

((k -1)/3) * 5 Minuten

Um am Beispiel der Gruppe aus 16 Personen zu bleiben erhöht sich der Zeitaufwand dieser Gruppe hiermit um 15 Minuten. Da sich die kognitive Last nicht wirklich beziffern lässt, können wir diese im Hinterkopf behalten, als weiterer "Kostenfaktor", der nur schwer quantifizierbar ist.

Selbst bei einer Gruppengröße von 4 Personen liegt der Zeitaufwand, den eine derartige Frage in der Gruppe erzeugt schon überproportional über dem Zeitaufwand für den Fragesteller. Vor allem auch, weil bei kleineren Gruppen der prozentuale Anteil der Antwortenden höher sein dürfte.

Fazit

Eine vermeintlich einfache Frage im Kontext einer Gruppe kann schnell zu einem recht hohen Zeitaufwand für die Gruppe führen. Ökonomen sprechen in ihrem Feld bei sowas von sogenannten Externen Effekten. Ein Konzept, dass sich auch auf soziale Vorgänge übertragen ließe.

Im Job: Kannst Du mal kurz

Ein anderes Beispiel ist das berühmte "Kannst Du mal kurz", mit dem im beruflichen Umfeld gern eine Frage/Bitte eingeleitet wird.

Stellt Euch vor: Man ist so ganz entspannt und gemütlich am arbeiten. Geht konzentriert einer Aufgabe nach und hat schon einige Zeit damit verbracht die hinter dem Arbeitsauftrag liegenden Aspekte zu verstehen und sich zu verdeutlichen.

Man hält also ein recht komplexes Gedankengebilde in seinem Kopf im aktiven Speicher um das was man macht immer mit diesem Gedankenkonstrukt abzugleichen und darin einzubetten.

Vor allem am Beispiel der Programmierung wird dies verständlich, wenn man Beziehungen, Konzepte und Strukturen mehrerer hundert bis mehrerer tausend Codezeilen im Kopf hat, während man das Programm erweitert. Das wird in einem kurzen Comicstrip gut verdeutlicht.

Nehmen wir auch hier wieder an, die Frage kostet den Fragesteller 30 Sekunden. Und nehmen wir weiterhin an, dass auch die Antwort nur 30 Sekunden dauert. Das kann bei komplexen Fragen natürlich auch mehr werden, aber der Einfachheit halber wollen wir hier davon ausgehen, dass Antwort und Frage hier gleich viel Zeitaufwand bedeuten.

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es je nach Komplexität des ursprünglichen Vorgangs an dem ich gearbeitet habe zwischen 2 und 15 Minuten dauern kann, bis ich wieder gedanklich an dem Punkt bin, an dem ich unterbrochen wurde.

Diese Zahlen habe ich auch recht häufig von Kollegen und Bekannten gehört. Die Studienlage gibt auf die schnelle nur her, dass Multitasking bis zu 40% der Produktivität reduziert und den temporären Arbeits-IQ um ca. 10 Punkte reduziert. Ein Joint übrigens nur um 4 Punkte. Nur so am Rande.

Man könnte also ganz unwissenschaftlich behaupten, Multitasking mache dümmer als kiffen.

Nichts desto trotz. Nehmen wir im Zusammenhand mit unserer ursprünglichen Frage an, es dauere 5 Minuten (ein guter Mittelwert), dann sind wir bei:

(k -1) * 5 Minuten

Die Frage kostet den gefragten also in unserem Beispiel 5:30 Minuten. Im Gegensatz zum Fragesteller, den sie 1 Minute (30 Sekunden Frage, 30 Sekunden Antwort) kostet.

Fazit

Auch hier - bei einer reinen 1 zu 1 Beziehung kann - je nach Kontext - eine Frage auf der anderen Seite sehr hohe, zeitliche Kosten, also einen deutlich negativen externen Effekt, erzeugen.

Besonders schlimm finde ich das, wenn der Fragesteller eine derart simple Frage stellt, dass Google sie als erstes Ergebnis sofort gezeigt hätte. Und/oder wenn man als Gefragter merkt, dass sich der Fragesteller keine Gedanken gemacht hat und auch noch nicht versucht hat eine Antwort selbst zu finden/zu recherchieren.

Zusammenfassung

Die Aussage "Fragen kostet nichts" ist eine gefährliche Annahme, denn sie belastet, je nach Kontext, die Gefragten mit teils sehr massiven Externalitäten. Je größer die Gruppen (Beispiel 1), oder je konzentrationsintensiver die unterbrochene Arbeit (Beispiel 2), um so höher der negative Effekt, den nicht der Fragesteller zu spüren bekommt.

Diese bekommen davon meist nichts mit. Und genau hier liegt das Problem. Denn um aus Erfahrung zu lernen müsste der Fragesteller die entsprechende Erfahrung machen. Leider passiert dies bei Externalitäten nicht. Man könnte nur auf das eigene Verhalten rückschließen, wenn man als Teil einer Gruppe, oder als Mensch mit unterbrochener Konzentration auf sein eigenes Verhalten schließen würde.

Auch das ist rein von der Lerntheorie her ein eher schwieriges Konzept.

Daher bitte ich Euch, überlegt Euch gut, ob ihr in Zukunft fragt. Oder zumindest überlegt Euch, ob Eure Frage (und damit Euer eigenes Anliegen) so viel wichtiger ist, als die Zeit/Konzentration/kognitive Last der Gefragten.

Danke!