Wenn man Dunning und Kruger trifft - in einer Person.



Ich bin heute in eine Corona Demo gelaufen. Also eigentlich einen "Spaziergang" (Zitat) zur Rettung des Grundgesetzes.

covid-demo

Ein Spaziergang

Zumindest haben alle Teilnehmer brav ein GG an einer Leine um den Hals hängend spazieren geführt.

Also ganz treue Botschafter des grundlegenden Gesetzeswerks dieses Landes könnte man sagen. Gut, man hat sich an keine Abstandsregeln gehalten. Und auch die Masken waren natürlich nirgends zu sehen.

Auf Nachfrage, ob die Demonstration denn angemeldet sei kam von einer Demonstrantin besagtes Zitat, es handele sich nicht um eine Demo, sondern einen Spaziergang.

Klarer Fall von gesetzestreuer Bürger und so.

Ihr merkt schon - ich war näher dran.

Erst war ich irrititiert und dachte, ich erledige schnell meine Einkäufe und ignoriere das Schauspiel. Immerhin war die Polizei vor Ort, das Grüppchen stand ausreichend weit weg von anderen Menschen auf dem Supermarktparkplatz und wieso soll ich mit Covidioten diskutieren?

Aber meine Neugier war dann doch größer. Wann kann man diese Spezies sonst in freier Wildbahn beobachten und aus der Nähe betrachten? Sonst sieht man sie ja nur, verborgen hinter nichtssagenden Bildern, in irgendwelchen Facebookdiskussionen.

Also ran an den Speck.

Meine erste (von mir auf Distanz gehaltene) Kontaktperson war, wie sich im Lauf des Gesprächs rausstelle, ein Arzt. Impfgegner und absoluter Verfechter der Ansicht, Corona sei vorbei und diese grundgesetzwidrigen Eingriffe in seine Freiheit seien undemokratisch und man müsse gegen diesen Misstand demonstrieren. Wie gesagt ohne Maske. Und ohne Anmeldung einer Demo. Aber mit einen GG um den Hals hängend.

Ich gestehe, ich hab in meinem Leben noch nie einen solch wandelnden Widerspruch erlebt, wie diesen Menschen. Und ja das ist eine absichtsvolle Alliteration.

Ein wandelnder Widerspruch

Auf meine erste Frage, was denn das Problem sei, gegen das er demonstriere, antwortete er: "Ich weiß nicht." Gut, das mag der Tatsache geschuldet sein, dass er gar nicht gemerkt hatte, dass ich wirklich (und das ist kein Schwerz, auch wenn mein Schreiben inzwischen so klingt) versucht habe zu verstehen, wie er seine Demo begründet.

Im nächsten Satz versuchte er dann zu erklären, dass Corona ja vorbei sei und, dass es also keinen Grund mehr gäbe, den Menschen irgendwelche Maßnahmen aufzuzwingen. Ich fragte, woher er wisse, dass Corona vorbei sei. Woraufhin er antwortete, dass sagten die Zahlen des RKI. OK - die sagen aktuell, dass wir täglich noch rund 600 - 700 Infektionen haben. Manchmal mit Ausreißern nach oben.

Das hab ich ihm auch gesagt und gefragt, wie er daher auf "Corona sei vorbei" komme. Er meinte, ich solle das mal auf Henstedt-Ulzburg (kleine 30.000 Einwohner Gemeinde) runterrechnen. Gut, dass der Trend in SH aktuell wieder ansteigend ist war mir in dem Moment als Gegenargument leider nicht parat.

The unmasked "Dunning Kruger": Leider nicht "The Masked Singer"

Er erklärte auch kategorisch seine Ablehnung gegen die Gesichtsmasken. Kategorisch. Das sei ein unverschämter Eingriff in seine Freiheitsrechte. Ich konnte mir die Gegenfrage, ob er denn im Auto einen Gurt trage, nicht verkneifen. Und bei seiner Antowrt musste ich mir das Lachen verkneifen.

"Natürlich! Da geht es ja um die Sicherheit."

Kein Witz. Das hat er so gesagt. Auch wenn ich es selbst kaum glauben will.

Das ging noch ein bisschen hin und her mit dem guten Mann. Er erklärte mir dann, dass er als Arzt kürzlich eine Leichenschau bei einem 15-jährigen Suizidopfer habe machen müssen. Das Mädchen habe sich wegen der sozialen Vereinsamung durch Corona das Leben genommen. Mag stimmen und wäre dann auch absolut tragisch. Ich konnte nur leider keinen passenden Fall in den polizeilichen Meldungen im Umkreis finden. Muss aber nichts heißen.

Irgendwann fing er dann an von der drohenden Impfpflicht zu schwadronieren. Ich hab ihm angeboten, dass ich ihn auf meine Kosten zum Essen einladen würde, wenn die Impfflicht kommt - als Wette, weil ich sicher bin diese zu gewinnen. Die wird nicht kommen.

Als ich dann meinte, dass sich - wenn es einen sicheren Impfstoff gibt - dann hoffentlich möglichst genug impfen lassen um Herdenimmunnität zu erreichen für all diejenigen, die sich nicht impfen lassen können, kam nur ein "Na hoffentlich nicht. Das sei unnatürlich." von ihm. Er outete sich dann als Impfgegner. Also pauschal. Gegen alle Impfungen. Wie gesagt: Vor allem mit dem Argument, dass impfen unnatürlich sei. Ja verdammte Kacke nochmal, das ist Aspirin auch. Selbst fucking Globuli sind unnatürlich. Raffinierter ZUcker und so. Ich könnte gar nicht genug facepalmieren.

Da frage ich mich ernsthaft, wieso so jemand noch seine Approbation haben kann. Also wirklich. Sollte es da nicht irgend ein Mittel dagegen geben - von mir aus auch ein natürliches?

Aber immerhin kann ich seit heute sagen ich habe Dunning und Kruger getroffen. In einer Person. In Henstedt-Ulzburg.

Der deeskalierende - oder so - Arm des Staates.

Ich muss sagen bei den beiden anwesenden Polizisten bin ich zwiespältig. Der ältere Herr hat sehr besonnen und ruhig reagiert. Deeskalierend und er hat einfach - von Außen betrachtet - einen guten Job gemacht. Seine jüngere Kollegin war da nicht mit ganz so viel Fingerspitzengefühl/Training ausgestattet. Alles im Rahmen und persönlich kann ich ihren Frust völlig verstehen. Immerhin wurde sie von einem Teil der Demonstranten immer sehr (passiv) aggressiv angeganen. Dennooch finde ich, dass sie in ihrer Funktion anders, ruhiger hätte reagieren müssen.

Ein entspannterer Datenmensch

Nein - mit dieser Überschrift bin nicht ich gemeint. Es war auch ein Mensch anwesend, der irgendwelche Sterbezahlen mit sich rumgetragen hat. Er fragte mich irgendwann, ob ich die kennen würde. Klar kenne ich die. Nur, dass ich nicht nur die Vergleichszahlen 2018 kenne, als es die ungewöhnlich heftige Grippewelle gab mit den (übrigens auch nicht korrekten) 25.000 Grippetoten. Ja es waren 2018 echt viele Grippetote. Weit mehr als gewöhnlich. So viele wie seit 30 Jahren nicht mehr.

Meine Antwort war: Ja kenne ich. Aber die Grippewelle war eben außergewöhnlich heftig. 2014 waren es hingegen deutschlandweit nur 79 Grippetote. 2015 waren es 700. Diese Aussage führte Erstaunen bei einigen der Demonstranten. Tja, kommt davon, wenn man eben nur selektiv die eigentlich echt guten Quellen benutzt und Dinge einfach mal so nachplappert wie es irgendwelche veganen Köche oder hohldrehenden Wirtschaftswissenschaftler gerade vorplappern.

Der nette Herr mir gegenüber wurde merklich stiller. Ich meinte dann noch zu ihm, dass ich sogar viele seiner Kritikpunkte was bestimmte Maßnahmen betrifft verstehen könne. Sogar einige davon teilen würde. Und auch, dass ich einige andere Aspekte der aktuellen Regelungen nicht nachvollziehen könne.

Dass jemand nicht einfach gegen ihn ist, das hat er wohl nicht erwartet. Dass jemand gegen seine Prämisse sein kann, Masken zu tragen, aber trotzdem Maßnahmen kritisiert war ihm irgendwie wohl unverständlich. Ich hatte sogar den Eindruck im Kopf würden das ein oder andere Rädchen sich bewegen.

Besonders lustig war seine Reaktion, als ich meinte, ich wolle aber gar nicht über die Zahlen sprechen. Denn für mich sei das ganze eine Frage der Werte. Und mein Wert sei eben, dass ich die Maske trage um Respekt vor alle den Menschen zum Ausdruck zu bringen, die sich aufgrund von Krankheit nicht schützen könnten. Denn ich wolle nicht schuld daran tragen, dass ich möglicherweise jemanden anstecken würde, der dann schwerst erkranken oder sterben könne, weil er vorbelastet sei, oder beispielsweise als Krebspatient keine Chance habe sich zu schützen.

Da wurde er nachdenklich und still. Wer weiß. Ich befürchte zwar, dass ihn seine Filterblase schon wieder einfangen wird. Aber einen Versuch war es wert.

In diesem Sinne:

#stayhealthy

ps.: Ein Nachtrag